29.06.2016
Das Kabinett in Düsseldorf hat den neuen Sozialbericht NRW 2016 verabschiedet. Der Bericht enthält Daten und Statistiken zur Armuts- und Reichtumsentwicklung in Nordrhein-Westfalen und informiert über die Lebenslagen ausgegrenzter Personen und Bevölkerungsgruppen bis 2014. In vielen Bereichen gebe es erfreuliche Zahlen, beispielsweise bei der Erwerbstätigkeit oder der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und auch bei der Einkommensentwicklung, sagte Sozialminister Rainer Schmeltzer bei der Vorstellung des Berichts. Niedriglohnbeziehende hätten dabei aber bisher oft das Nachsehen gehabt. „Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich weiter vergrößert“, sagte Schmeltzer.
Zwischen 2005 und 2014 ist die Zahl der Erwerbstätigen landesweit um rund eine halbe Million gestiegen auf zuletzt durchschnittlich neun Millionen. Davon waren knapp 6,3 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Im Vergleich zu 2005 entspricht dies einem Anstieg von 11,9 Prozent. Diese positive Entwicklung hat sich auch 2015 weiter fortgesetzt.
Zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit ist nach Ansicht des Arbeits- und Sozialministers ein Ausbau der Öffentlich geförderten Beschäftigung (ÖGB) erforderlich. „Darum fordern wir schon lange den sogenannten Passiv-Aktiv-Transfer vom Bund. Wir wollen Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren.“ Doch dagegen sträube sich Bundesfinanzminister Schäuble, kritisierte der Minister. Eine Studie bestätigt den Erfolg der bisher über 90 ÖGB-Modellprojekte in NRW. Soziale Teilhabe und Zufriedenheit der rund 2.000 Teilnehmenden verbesserten sich demnach deutlich, jeder zweite Betreute fand eine Anschlussperspektive. Ende 2015 waren in NRW 316.923 Menschen langzeitarbeitslos. 4.246 weniger als Ende 2014.
Die Arbeitslosenzahl lag im Jahr 2015 bei durchschnittlich rund 744.500 und ist damit gegenüber dem Vorjahr um rund 2,5 Prozent gesunken. Die Zahl der jüngeren Arbeitslosen im Alter bis 24 Jahre pendelte sich im Jahresdurchschnitt 2015 bei knapp 66.200 ein. Im Vergleich zu 2014 stellte dies bei der Jugendarbeitslosigkeit einen besonders starken Rückgang um rund 7,3 Prozent dar. NRW konnte damit die Entwicklung in den westdeutschen Bundesländern übertreffen.
Dem Sozialbericht lässt sich entnehmen, dass in Nordrhein-Westfalen die Ungleichheit der Vermögensverteilung von 2003 bis 2013 weiter gestiegen ist. Auf der einen Seite verfügten 2013 die vermögendsten 20 Prozent über 70,6 Prozent des ermittelten Gesamtvermögens. Auf der anderen Seite waren 18,9 Prozent der Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt vermögenslos. Sozialminister Schmeltzer stellte folgerichtig die Berliner Pläne zur Erbschaftsteuer in Frage: „Wir müssen sicherstellen, dass reiche Erben einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung unseres Gemeinwesens leisten.“ Der vorgelegte Kompromiss spiegle das nicht wider, so Schmeltzer.
Im Jahr 2014 waren in NRW rund 2,8 Millionen Menschen einkommens-arm. Die sogenannte Armutsrisikoquote ist auf 16,2 Prozent gestiegen (2010: 14,7 Prozent). Schmeltzer: „Das zeigt, unsere Gesellschaft driftet weiter auseinander. Trotz der guten Konjunktur- und Arbeitsmarkt-entwicklung drohen sich Armut und Ausgrenzung zu verfestigen.“ Vor allem Alleinerziehende, Migranten und Geringqualifizierte sowie Kinder und Jugendliche seien davon betroffen, so der Minister. Bundesweit ist die Armutsrisikoquote seit 2010 angestiegen.
Als armutsgefährdet gelten nach EU-Definition Personen, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung in NRW beträgt. 2014 lag der Wert bei 1.491 Euro netto. Demnach war ein Singlehaushalt mit einem monatlichen Einkommen von unter 895 Euro als einkommensarm einzustufen. Bei einer Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren lag die Schwelle bei 1.879 Euro netto.
Die Armutsbekämpfung muss laut Schmeltzer weiter an verschiedenen Stellen gleichzeitig ansetzen. „Wir brauchen Korrekturen zur Regulierung des Arbeitsmarktes, um prekäre Beschäftigung zurückzudrängen und wir brauchen eine sichere gesetzliche Rente, die ein Altern in Würde erlaubt. Eine Rentenkürzung durch die Hintertür, wie die Rente mit 70, machen wir daher auf keinen Fall mit. Gute Löhne und eine vernünftige Rentenreform führen zu angemessenen Renten.“ Mit dem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn sei der richtige Anstoß gemacht worden. „Rund 800.000 Menschen in NRW verdienen durch den Mindestlohn heute mehr“, betonte Schmeltzer und ergänzte: „Nun nehmen wir die überfälligen Reformen für die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter in Angriff.“
Auch bei der Bildung gelte es, weiter so früh wie möglich anzusetzen, um Kindern Chancen unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern zu ermöglichen. Schmeltzer dazu: „Der Sozialbericht belegt, wie wichtig unser Politikansatz „Kein Kind zurücklassen“ ist.“ Das Landesvorhaben „Kein Abschluss ohne Anschluss“(KAoA) sei ein wichtiger Baustein. „Wir helfen jungen Menschen beim Einstieg in die Berufswelt. Das verhindert unnötige Warteschleifen“, so Schmeltzer. Nordrhein- Westfalen hat als erstes Flächenland ein landesweit einheitliches und effizient gestaltetes Übergangssystem in die Ausbildung oder das Studium eingeführt. Basis dafür ist eine frühzeitige und umfassende Berufs- und Studienorientierung – und zwar für alle Schülerinnen und Schüler ab Klasse 8. Ende 2018/19 werden über 500.000 Schülerinnen und Schüler der Klassen 8 bis 10 erreicht.
Der Sozialbericht NRW 2016 hat mit der „sozialen Segregation“ (Ausgrenzung) die sozialräumliche Dimension des SGB-II-Bezugs in den Fokus genommen. Die Landesregierung setzt seit 2014 gezielt mit ihrer Landesinitiative „NRW hält zusammen…“ und dem Aufruf „Starke Quartiere-starke Menschen“ an, um die Lebenssituation der von Armut und Ausgrenzung betroffenen Menschen zu verbessern. Allein über den Aufruf werden die Quartiere bis zum Jahr 2020 insgesamt mit über 350 Millionen Euro gestärkt. Die Freie Wohlfahrtspflege ist im Sozialbericht NRW 2016 mit einem selbst verantworteten Kapitel vertreten. Über Fallbeispiele wird darin unter anderem den „Armen eine Stimme“ gegeben.
Der Landesozialbericht erscheint in der Regel alle fünf Jahre.
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